Über den Geschmack von Humor und Satire lässt sich ja bekanntlich vortrefflich streiten. Während ein Mario Barth mit seinen Geschlechterstereotypen aus dem Mittelalter (Zusammengefasster Inhalt jeder seiner Shows: Männer sind faul, primitiv, peinlich, bekloppt; Frauen können nicht einparken, nicht still sitzen und nicht links von rechts unterscheiden) auf der einen Seite ganze Stadien füllen kann, sehen andere in ihm allenfalls einen peinlichen Schenkelklopfer-Produzenten, der lediglich für die Eröffnungsparty eines Baumarktes taugt.
Doch im Zeitalter der Dauerempörten und des rechten Berufssorgenbürgertums hat Comedy und Satire noch eine weitere Dimension: Sie stellt die öffentlich-rechtlichen Medien immer wieder auf die Probe, ob sie einem Shitstorm aus der übelriechenden braunen Ecke stabil Stand halten kann, oder ob sie vor diesem einknicken. Das setzt auch Kunst- und Medienschaffende, aber auch JournalistInnen, immer mehr unter Druck. Eine große Hilfe könnte sein, wenn Politiker und auch die Leiter der Rundfunkanstalten öffentlich Solidarität mit ihren MitarbeiterInnen signalisieren.
Der Intendant des Westdeutschen Rundfunks (WDR) Tom Buhrow kroch da doch lieber zu Kreuze vor den rechten Pöblern und Schreihälsen.
#Umweltsau
Was war passiert?
Der Stein des Anstoßes war ein knapp eineinhalb Minuten langes satirisches Video des WDR auf deren Facebook-Seite, das den Dortmunder Kinderchor des Senders zeigt. Darin singen die Kinder das bekannte, wahrscheinlich schon in den 1930er Jahren entstandene Kinderlied „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“, allerdings mit einem veränderten Liedtext, in dem die Umweltsünden der Oma angeklagt werden. Die Originalvorlage ist übrigens das Lied „Wir versaufen uns’rer Oma ihr klein’s Häuschen„, welches der Varietékomiker Robert Steidl (1865–1927) im Jahr 1922 veröffentlichte.
Hier eine Videoaufzeichnung der satirischen WDR-Variante:
Das kann man nun lustig finden, oder auch nicht. Geschmackssache. Und selbstverständlich darf man an diesem Liedtext auch Kritik üben, warum denn auch nicht. In diesem Punkt unterscheidet sich eine vom WDR produzierte Satire in keinster Weise von einem Greta-bashenden Dieter Nuhr im ZDF oder dem oben genannten Mario Barth bei RTL. Und ganz offen gesagt: Diese Produktion hat mich vielleicht ein bisschen zum Schmunzeln gebracht, mehr aber auch nicht; es handelt sich jetzt nicht gerade um eine Sternstunde gut gemachter Satire.
Speziell im ultrakonservativen und rechtsextremen Lager sah man das offensichtlich nicht ganz so locker. Schon kurz nach der Veröffentlichung dieses Videos brachen alle Dämme und ein Schwall rechter Hetze ergoss sich über die Macher in den sozialen Medien.
Instrumentalisierung?
So hieß es seitens der Empörten unter anderem, dass die Kinder des Chors “instrumentalisiert” werden würden. Kinder zu instrumentalisieren würde ja bedeuten, dass diese, auch gegen ihr Wissen bzw. gegen ihren Willen, für eine politische Agenda ausgenutzt oder „missbraucht“ werden würden. Nur: Welche politische Agenda soll das bitte sein? Es geht ja in dem Liedtext letztendlich um unser klimaschädliches Verhalten, welches ja mittlerweile parteiübergreifend – ausgenommen die Klimawandelleugner in den Reihen der Nazipartei AfD oder in anderen rechtsextremen Kreisen – als ein großes Problem angesehen wird. Und vielleicht ist es ja auch so, dass die Kinder das Lied mit vollster Überzeugung gesungen haben, also sich über dessen Inhalt voll im Klaren gewesen sind und es sogar singen wollten. Hat die mal jemand gefragt? Darüber hinaus ist es nach Aussage der Chorleitung sowohl den Kindern als auch deren Eltern frei überlassen worden zu entscheiden, ob sie an dem Projekt teilnehmen.
Wenn das Instrumentalisierung sein soll, wie nennt man es dann bitte, wenn Kinder auf Parteiwerbeplakaten erscheinen? Was ist es, wenn die neonazistische Partei NPD in Ostdeutschland Kinderfeste organisiert? Was ist es, wenn die CDU fordert, dass auf den Schulhöfen jeden morgen ein Fahnenappell durchgeführt werden soll? Ist das dann etwa keine Instrumentalisierung?
Und als im vergangenen Jahr die rechtsextreme AfD-Politikerin Nicole Höchst ihre 14-jährige Tochter Ida-Marie angestiftet hat, auf einem Poetry-Slam zum Thema „Zivilcourage“ in Speyer zwei rassistische Gedichte vorzutragen, hat sich aus der braunen Blase auch niemand über die Instrumentalisierung eines Kindes beklagt.
Beleidigung?
Ein weiterer Vorwurf des pöbelnden Mobs war, dass es sich bei der Benennung der fiktiven Oma als „Umweltsau“ um eine Beleidigung aller Großmütter handeln würde. Tja, da wurde also „meine Oma“, die „im Hühnerstall Motorrad fährt“ und sich jeden Tag ein Kotelett in die Pfanne haut, als „Umweltsau“ bezeichnet – schon wenn man sich dieses Bild vor Augen führt, müsste klar werden, dass der Vorwurf einer Beleidigung an Lächerlichkeit kaum zu überbieten ist. Welche real existierende Person ist denn bitte hier ernsthaft beleidigt worden? Die Oma ist in diesem abgewandelten Liedtext ein aus dem Original übernommener Stellvertreterbegriff; man könnte „Oma“ auch komplett durch „Freund“, „Freundin“, „Bekannte“, „Lehrerin“, oder was-auch-immer ersetzen. Das Alter, das Geschlecht, der soziale Status, etc. sind völlig irrelevant – die Handlungen sind das entscheidende!
Derselbe verlogene Kreis rechtsextremer Plärrer, der hier jetzt von einer „Beleidigung aller Omas“ schwurbelt, findet es übrigens völlig normal, wenn sie die schwedische Umwelt-Aktivistin Greta Thunberg als „geisteskranke Göre“ bezeichnen. Ebenso wird es in diesen Kreisen abgefeiert, wenn Renate Künast von den Grünen als „Drecks Fotze“, „Stück Scheisse“ und „Geisteskranke“ bezeichnet wird und sogar mit dem Versuch scheitert, juristisch gegen derartige Beschimpfungen vorzugehen.
Neonazi-Demo vor dem WDR in Köln
Doch mit lediglich einem Shitstorm ist es beim rechtsextremen Gesocks natürlich nicht getan. Am Nachmittag des 29.12.2019 versammelten sich etwa 100 Neonazis zu einer Spontandemo vor dem WDR-Gebäude in Köln. Dort skandierten diese unter anderem antisemitische Sprüche, eine Nazi-Oma (wörtlich!) hetzte gegen den Islam. Unter den Demonstranten waren neben einigen bekannten Neonazis aus dem Raum Düsseldorf und Köln, wie beispielsweise die der Identitären Bewegung (IB) nahestehende YouTuberin „Lisa Licentia“ (Lisa H.), auch ca. 20 Angehörige der hauptsächlich in Düsseldorf aktiven und gewaltbereiten Neonazi-Gruppierung „Bruderschaft Deutschland“.
So sahen die „besorgten Bürger“ heute in #Koeln aus. Nazis, die gegen den #WDR protestieren. Eine schwarz-gelbe Landesregierung, die sich zum #Umweltsau-Video äußert, zu den Nazis aber schweigt, hat jeden moralisch-politischen Kompass verloren. #koeln2912 pic.twitter.com/m4JaNiKevi
— Niema Movassat (@NiemaMovassat) December 29, 2019
Es wurde noch schlimmer: Bei diversen WDR-Mitarbeitern gingen Morddrohungen ein. Vor dem Privathaus des WDR-Mitarbeiters Danny Hollek (@dannytastisch) und seiner Familie taucht plötzlich der Neonazi-Aktivist Michael Brück mit einem Schild auf. Brück ist Ratsherr der neonazistischen Kleinstpartei „Die Rechte“ aus Dortmund und betreibt unter dem bezeichnenden Namen „antisem.it“ einen Internet-Versandhandel für Nazidevotionalien und Zubehör für den Straßenkampf.
Ganz toll! Der #Umweltsau-Shitstorm hat jetzt dazu geführt, dass bekennende Nationalsozialisten bei der Familie von @dannytastisch vor der Tür stehen.
Der @WDRaktuell sollte sich spätestens jetzt hinter den Kollegen stellen. pic.twitter.com/8WNwPEaQK5
— Sebastian Weiermann (@SWeiermann) December 29, 2019
WDR-Intendant Tom Buhrow kriecht zu Kreuze
Egal, für wie gelungen man nun das satirische Lied des Kinderchors auch halten mag: Sowohl der WDR, als auch die Politiker dieses Landes haben die Pflicht, die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit zu schützen. Da der Liedtext in keinster Weise unter die Schranken der Meinungsfreiheit (Art. 5 (2) GG) fällt, gab es keinen wirklichen Grund, das Video zu löschen.
Doch in diesem Punkt gab es wieder einmal massenweise Enttäuschungen.
Das der WDR wegen des Shitstorms das Video von seiner Facebook-Seite entfernte, ist die eine Sache. Was meines Erachtens sehr viel schlimmer wiegt, ist der fehlende Rückhalt für die WDR-Mitarbeiter seitens des WDR und auch aus der Politik.
WDR-Intendant Tom Buhrow knickte vor dem braunen Pöbel ein und kroch zu Kreuze. Dafür wurde sogar am 28.12.2019 auf WDR 2 eine Radio-Sondersendung übertragen, in der auch Buhrow zu Wort kam. Dieser meldetet sich aus dem Krankenhaus, in dem sein 92-jähriger Vater liegt, und bezeichnete das „Video mit dem verunglückten Oma-Lied“ als Fehler. Buhrow sagte: „Ich entschuldige mich ohne Wenn und Aber dafür.“ Sein Vater habe immer hart gearbeitet und sei keine „Umweltsau.“ Ein inszeniertes Rührstück sondergleichen. Anstatt sich deutlich vor seine MitarbeiterInnen zu stellen und diese vor der hetzenden Meute zu beschützen und zu verteidigen, rammte Buhrow ihnen von hinten noch einen Dolch in den Rücken.
Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), dessen Parteifreund Walter Lübcke im Juni von Neonazis ermordet wurde, mischte sich ein und redete der rechten Filterblase nach dem Mund. Auf Twitter schrieb er: „Der WDR hat (…) Grenzen des Stil und des Respekts gegen über Älteren überschritten. Jung gegen Alt zu instrumentalisieren ist nicht akzeptabel.“ Zu den unglaublichen Vorgängen vor dem WDR-Gebäude in Köln gab es von Laschet übrigens nicht einen einzigen Tweet. Das sagt eigentlich alles über ihn und die verlogen-heuchlerische CDU aus! Für ein bisschen Szenenapplaus aus der rechtsextremen Blase ist dem Laschet wohl nichts zu schäbig.
Sogar aus der langsam in der Versenkung verschwindenden SPD gab es Wortmeldungen. Die Verliererin um die Wahl für den SPD-Bundesvorsitz Klara Geywitz aus Potsdam attestierte auf Twitter dem Intendanten Buhrow sogar gute Führungsqualitäten: „Mein Respekt für soviel Haltung und Führungskultur von Tom Buhrow. Der WDR-Intendant entschuldigt sich für ‚Oma-Lied‘ mit persönlichen Worten.“ Sorry, Frau Geywitz, es mag in ihrer SPD ganz offensichtlich erhebliche Qualitätsdefizite in der Führung geben, wie jeder die letzten Jahre sehen konnte, aber diese sollten Sie nicht verallgemeinern. MitarbeiterInnen in den Rücken zu fallen ist das genaue Gegenteil einer gesunden Führungskultur.
Der große Verlierer: Die Medienschaffenden
Der größte Verlierer dieser ganzen Ereignisse dürften wieder einmal die JournalistInnen und Kunstschaffenden sein. Diese fühlen sich in einem zunehmend toxischen Klima immer mehr verunsichert, was sie sich noch erlauben dürfen, und bis zu welcher Grenze sie noch den Rückhalt für ihre Arbeit bei ihren Vorgesetzten und bei den demokratischen PolitikerInnen haben. Nicht nur, dass rechtsextremer Abschaum und Berufsempörte immer wieder in den sozialen Medien versuchen durch konzertierte Aktionen die Meinungshoheit zu erlangen. Diese Meinungen finden auch zunehmend Wiederhall bei bürgerlich-konservativen Politikern. Statt Solidarität mit den Medienschaffenden zu signalisieren, werden diese sogar noch von Seiten der Politik torpediert. Man kann nur erahnen was diesen Menschen blüht, sollten doch wieder einmal die Neonazis und Rechtsextremisten in Deutschland die Oberhand gewinnen…
Für die wirklich wichtigen und dringenden Themen in Deutschland, wie den menschengemachten Klimawandel, die Bekämpfung des Rechtsextremismus, die Verkehrswende, die Reduzierung der Schere zwischen Arm und Reich, etc. ist dadurch ebenfalls nichts gewonnen. Verschwendete Zeit wegen eines nun wirklich belanglosen Videos, und das nur weil die Nazis mal wieder laut gebrüllt haben.
Ach, und übrigens: In Griechenland frieren und hungern weiterhin Kinder!!